FEMINISMUS
Bruch mit traditionellen Rollen
Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert sind Frauen weitgehend vom offiziellen Kunstbetrieb ausgeschlossen. Die wenigen Frauen, denen es gelingt sich zu etablieren, sehen sich mit Vorurteilen, Diskriminierung und Bevormundung konfrontiert. Sie sollen sich – so die weitverbreitete Vorstellung – auf ihre traditionelle Funktion als Mutter und Ehefrau konzentrieren. Besonders im Bereich der Bildhauerei, der aufgrund der anstrengenden, physischen Arbeit mit dem Material traditionell männerdominiert ist, sehen sich Frauen zu Zeiten Barbara Hepworths mit Geschlechterstereotypen und diskriminierenden Rollenbildern konfrontiert.
Hepworth erregt hier bereits früh Aufmerksamkeit, weil sie sich nicht damit begnügt, ihre Werke zu modellieren, um sie anschließend von Handwerkern in Stein oder Holz umsetzen zu lassen, sondern selbst Hand anlegt. Hepworth kritisiert, dass Weiblichkeit in vielen Bereichen – auch in der Kunst – als etwas angesehen wird, das dem Männlichen nicht gewachsen, sondern vielmehr unterlegen ist:
Die Nachteile, eine Künstlerin zu sein
Hepworth lehnt die Trennung zwischen einer „männlichen“ und einer „weiblichen“ Kunst strikt ab. Zwar würden ihrer Meinung nach geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf Sensibilität und Wahrnehmung existieren, daraus aber eine grundlegende Konkurrenz zwischen den Geschlechtern abzuleiten, hält sie für falsch. Sie glaubt daran, dass Kunst allein der Qualität nach zu beurteilen ist: Entweder ist sie gut oder sie ist es nicht. Folglich will sie als Künstlerin mit dem gleichen Maßstab wie ihre männlichen Kollegen beurteilt werden. Doch sie muss erfahren, dass dies nicht immer der Fall ist. Trotz der großen Erfolge, die sie bereits früh in ihrer Karriere feiert, spürt sie, dass ihr Geschlecht viele Nachteile mit sich bringt. Insbesondere vom British Council sieht sie ihre künstlerische Arbeit nicht ausreichend gewürdigt. In einem Brief an den Kritiker Herbert Read vermutet sie, dass dies damit zusammenhänge, „1. eine Frau zu sein, 2. abstrakt zu arbeiten, 3. jung zu sein und 4. eine Ehefrau und Mutter zu sein …“
Gegen alle Widrigkeiten
Die Tatsache, dass sich Barbara Hepworth im Laufe ihrer Karriere in einem dynamischen Netzwerk von fortschrittlich denkenden Künstler:innen und Intellektuellen bewegt, trägt entscheidend dazu bei, ihre künstlerische Position zu stärken. Mit ihrer Teilnahme an wichtigen Ausstellungen wie der Biennale von Venedig im Jahr 1950, der ersten und zweiten documenta (1955/1959) in Kassel oder der V. São Paulo Biennale (1959/1960) bekommt sie auch internationale Anerkennung. In den Nachkriegsjahren erhält sie zahlreiche Aufträge für Skulpturen im öffentlichen Raum. Mit „Turning Forms“ (1950/51) realisiert sie ihre erste kinetische Arbeit, eine mehr als zwei Meter hohe Skulptur aus Stahlbeton und Zement, die von einem Motor in Bewegung versetzt wird. Es folgen zahlreiche weitere Aufträge für Werke, die im Außenraum ihren Platz finden.
In den frühen 1960er-Jahren wird sie mit der Gestaltung eines Monuments für die Vereinten Nationen beauftragt. Es entsteht ihre wohl bekannteste und größte Arbeit, die mehr als sechs Meter hohe Skulptur „Single Form“. Zukunftsweisend ist auch Hepworths interdisziplinäre Arbeit in den Bereichen Musik, Tanz und Theater. 1951 entwirft sie das Bühnenbild und die Kostüme für die Inszenierung von „Electra“ im Old Vic Theatre in Lonodon, es folgt 1955 der Entwurf des Bühnenbilds und der Kostüme für die Uraufführung von Michael Tippetts Oper „The Midsummer Marriage“ im Royal Opera House. Barbara Hepworth engagiert sich zudem im lokalen Kulturleben von St Ives: Zusammen mit Priaulx Rainier und Michael Tippett ruft sie 1953 das St Ives Festival ins Leben, das im Zusammenwirken von Musik, Theater und bildender Kunst einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten sollte.
Barbara Hepworth hat mit Präzision, gedanklicher Schärfe und unerschöpflicher Innovationskraft dazu beigetragen, dass die Skulptur in Großbritannien internationale Wirkung entfaltete. In einer Zeit, die von den Traumata des Krieges und der Sehnsucht nach einem Neuanfang geprägt ist, hat das ihre Kunst das Potenzial, befreiend zu wirken und – über die Befreiung des Geistes – auch an einer Befreiung der Gesellschaft mitzuwirken. Das Werk Barbara Hepworths stellt unter Beweis, dass formale Innovationen Ausdruck für Veränderungen sind, die Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes besitzen.
Im Netzwerk der Moderne – Barbara Hepworth und ihre Wege zum Erfolg
Essay von Jessica Keilholz-Busch
Ohne Zweifel ist Barbara Hepworth eine Künstlerin von auffallendem Talent und bemerkenswerter Kreativität. Die Tatsache, dass sie innerhalb weniger Jahre zu einer der bekanntesten Vertreterinnen der abstrakten Skulptur und zur führenden Bildhauerin Großbritanniens werden konnte, ist aber sicherlich nicht allein ihrer außergewöhnlichen Begabung zu verdanken. Nicht umsonst wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder darauf aufmerksam gemacht, wie stark Künstlerinnen in der Kunstgeschichte bereits zu Lebzeiten an den Rand gedrängt wurden, geringe Aufmerksamkeit erhielten und wie wenige weibliche Positionen es in die großen musealen Sammlungen, in die Standardwerke zur modernen Kunst und damit in den Kanon der Kunst überhaupt geschafft haben.¹ Barbara Hepworth scheint auf den ersten Blick eine der wenigen Ausnahmen zu bilden: Ihre Arbeit wird schon in den 1950er- und 1960er-Jahren von internationalen Kritikerinnen und Kritikern wie Herbert Read, Adrian Stokes, Abraham Marie Hammacher, Sigfried Giedion und Carola Giedion-Welcker gefördert und sie repräsentiert ihr Heimatland auf den Biennalen von Venedig und São Paulo sowie der documenta in Kassel. Mit wichtigen Arbeiten ist sie weltweit in Museen vertreten und erhält zu ihren Lebzeiten große öffentliche Aufträge. Ihre erfolgreiche Karriere und ihre zahlreichen Verbindungen zur europäischen Avantgarde wecken seit einigen Jahren ein immer differenzierteres Interesse. Was hat sie also anders gemacht? Warum ist es ihr – im Vergleich zu vielen anderen Künstlerinnen ihrer Zeit – gelungen, sich international zu etablieren? Um diesen Fragen nachzugehen, lohnt sich eine eingehende Betrachtung der von ihr verwendeten Strategien. Diese ermöglicht nicht nur interessante Einblicke in die Verbindungen und Netzwerke der abstrakten Kunst, sondern kann auch Anhaltspunkte liefern, was notwendig ist, um sich als Frau im männlich dominierten Feld der Bildhauerei durchzusetzen und erfolgreich zu sein.
Erste Erfolge
Barbara Hepworth, 1903 in Wakefield, Yorkshire, geboren, wuchs in einem gutsituierten Elternhaus auf. 1920 begann sie ihr Studium an der Leeds School of Art, welches sie dank eines Stipendiums 1921 am Royal College of Art in London fortsetzte, das im selben Jahr mit dem Maler William Rothenstein einen neuen, fortschrittlich denkenden Direktor erhielt. Die Zwischenkriegszeit begünstigte zudem einen strukturellen gesellschaftlichen Wandel, der einen größeren Spielraum für neue Denkweisen und Lebensmodelle bot und auch die bis dahin herrschenden Geschlechterrollen infrage stellte. Henry Moore, der zeitgleich mit Hepworth von Leeds nach London wechselte und mit ihr zusammen studierte, beschrieb die Atmosphäre an der Kunstschule als enorm befreiend.² Ob Hepworth dieses Gefühl gleichermaßen teilte, ist nicht belegt, aber es kann angenommen werden, dass sich für sie die Situation etwas anders darstellte, als für ihren männlichen Kollegen Moore. Zwar konnten Frauen seit 1860 an den Kunstschulen der Royal Academy studieren, doch waren sie ihren Kommilitonen gegenüber nicht unbedingt gleichgestellt. So blieb es ihnen beispielsweise bis in die 1890er-Jahre hinein untersagt, an Aktzeichenkursen teilzunehmen. Zudem genossen sie nicht dasselbe Maß an Anerkennung wie ihre männlichen Kollegen.³ Besonders auf dem männlich dominierten Feld der Bildhauerei war es in jener Zeit für Frauen schwierig, als ebenbürtig wahrgenommen zu werden. Im Gegensatz zu den Malereiklassen, in denen Frauen in den 1920er-Jahren bereits breit vertreten waren, bildeten sie in der Bildhauerei eher die Ausnahme. Dennoch entschied sich Hepworth ganz bewusst für diese Gattung. Künstlerisch ist diese Entscheidung für sie von großer Bedeutung, denn in der Bildhauerklasse lernte sie von ihrem Lehrer Barry Hart die Technik des direct carving, obwohl diese Technik kein Bestandteil des Bildhauereistudiums war und erst 1927 in den offiziellen Lehrplan aufgenommen wurde.⁴ Für Hepworth wie auch für Moore hatte das Erlernen dieser Fertigkeit jedoch grundlegenden Einfluss auf ihr künstlerisches Werk.
In ihrer Studienzeit zeichnete sich Hepworth durch ihre Zielstrebigkeit aus. Nachdem sie bereits ihren akademischen Werdegang bewusst gewählt hatte, plante sie auch ihre Karriere mit Kalkül. So verblieb sie nach Abschluss ihrer offiziellen Ausbildung ein weiteres Jahr am Royal College of Art, um an der britischen Ausgabe des Prix de Rome teilzunehmen, der den Gewinnenden einen Aufenthalt in Rom ermöglichte. Auch wenn Hepworth nicht gewann (ihr späterer erster Ehemann, der Künstler John Skeaping sollte den ersten Platz erzielen), erhielt sie ein West Riding Scholarship, das es ihr ermöglichte, ein Jahr ins Ausland zu reisen. Sie entschied sich für Italien, lebte zunächst in Florenz, später dann mit Skeaping, den sie 1925 heiratete, zusammen in Rom. In Italien lernte sie von Giovanni Ardini die Steinbildhauerei und das Arbeiten in Marmor. Aber auch Skeaping berichtet, dass er mit Hepworth weiter an ihren Holzbearbeitungsfähigkeiten feilte.⁵ Nach der Rückkehr aus Italien ließ sich das Ehepaar in London nieder und machte sich als freischaffendes Künstlerpaar selbstständig.
Ihre weitere künstlerische Laufbahn ging Hepworth strategisch an: Sie entschied sich bewusst dazu, gemeinsam mit ihrem Mann aufzutreten und auszustellen und damit von seiner zu jenem Zeitpunkt größeren Bekanntheit zu profitieren. Daher verwundert es nicht, dass insbesondere zu Beginn ihrer Karriere Kritiker sie häufig als Mrs. Skeaping oder später als Mrs. Nicholson bezeichneten. Ob sie das tatsächlich störte, ist schwer zu beurteilen. Eleanor Clayton verweist beispielsweise darauf, dass Hepworth und Skeaping ganz bewusst als Paar ausstellten, da dies seitens der Presse größere Aufmerksamkeit erhielt.⁶ Auch verhandelten sie einen gemeinsamen Vertrag mit Arthur Tooth & Sons Galleries. Dieser wurde offiziell 1931 beendet, nachdem sich Hepworth und Skeaping getrennt hatten und Hepworth sich mit dem konstruktivistischen Künstler Ben Nicholson liierte. Der fast zehn Jahre ältere Nicholson entstammte einer Künstlerfamilie und war in der internationalen Kunstszene bereits bestens vernetzt. In den ersten Jahren ihrer Ehe stellten die beiden noch gemeinsam aus, so beispielsweise von November bis Dezember 1932 in der Ausstellung Carvings by Barbara Hepworth, Paintings by Ben Nicholson bei Arthur Tooth & Son’s Gallery.
Ohne Zweifel war insbesondere Ben Nicholson zu Beginn ihrer Karriere ein wichtiger Partner und Türöffner für Hepworth. Er führte sie in die entsprechenden Kreise ein und stellte sie wichtigen Akteuren der Kunstwelt vor. Regelmäßig reiste er nach Paris, besuchte die dort ansässigen Galerien und andere, modern arbeitende Künstlerinnen und Künstler. Falls Hepworth nicht persönlich dabei sein konnte, so erzählte er von ihr und zeigte ihre Skulpturen auf Fotografien. Die positiven Reaktionen von Künstlerinnen und Künstlern wie Georges Braque, Pablo Picasso, Jean Hélion, Piet Mondrian, Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp oder Ossip Zadkine waren für Hepworth Bestätigung und halfen dabei, ihre internationale Reputation zu festigen.⁷ Die Tatsache, dass sie sich damit zu Beginn ihrer Karriere stark auf ihre Ehemänner und ihre Kontakte verließ, mag aus heutiger Sicht wenig emanzipiert wirken. Doch es ist eine bewusste Entscheidung Hepworths – so urteilt auch ihre Biografin Eleanor Clayton –, die Realitäten ihrer Genderrolle und die damit verbundenen Erwartungen auszufüllen.⁸
In ihrer Studienzeit zeichnete sich Hepworth durch ihre Zielstrebigkeit aus. Nachdem sie bereits ihren akademischen Werdegang bewusst gewählt hatte, plante sie auch ihre Karriere mit Kalkül. So verblieb sie nach Abschluss ihrer offiziellen Ausbildung ein weiteres Jahr am Royal College of Art, um an der britischen Ausgabe des Prix de Rome teilzunehmen, der den Gewinnenden einen Aufenthalt in Rom ermöglichte. Auch wenn Hepworth nicht gewann (ihr späterer erster Ehemann, der Künstler John Skeaping sollte den ersten Platz erzielen), erhielt sie ein West Riding Scholarship, das es ihr ermöglichte, ein Jahr ins Ausland zu reisen. Sie entschied sich für Italien, lebte zunächst in Florenz, später dann mit Skeaping, den sie 1925 heiratete, zusammen in Rom. In Italien lernte sie von Giovanni Ardini die Steinbildhauerei und das Arbeiten in Marmor. Aber auch Skeaping berichtet, dass er mit Hepworth weiter an ihren Holzbearbeitungsfähigkeiten feilte. Nach der Rückkehr aus Italien ließ sich das Ehepaar in London nieder und machte sich als freischaffendes Künstlerpaar selbstständig.
Ihre weitere künstlerische Laufbahn ging Hepworth strategisch an: Sie entschied sich bewusst dazu, gemeinsam mit ihrem Mann aufzutreten und auszustellen und damit von seiner zu jenem Zeitpunkt größeren Bekanntheit zu profitieren. Daher verwundert es nicht, dass insbesondere zu Beginn ihrer Karriere Kritiker sie häufig als Mrs. Skeaping oder später als Mrs. Nicholson bezeichneten. Ob sie das tatsächlich störte, ist schwer zu beurteilen. Eleanor Clayton verweist beispielsweise darauf, dass Hepworth und Skeaping ganz bewusst als Paar ausstellten, da dies seitens der Presse größere Aufmerksamkeit erhielt. Auch verhandelten sie einen gemeinsamen Vertrag mit Arthur Tooth & Sons Galleries. Dieser wurde offiziell 1931 beendet, nachdem sich Hepworth und Skeaping getrennt hatten und Hepworth sich mit dem konstruktivistischen Künstler Ben Nicholson liierte. Der fast zehn Jahre ältere Nicholson entstammte einer Künstlerfamilie und war in der internationalen Kunstszene bereits bestens vernetzt. In den ersten Jahren ihrer Ehe stellten die beiden noch gemeinsam aus, so beispielsweise von November bis Dezember 1932 in der Ausstellung Carvings by Barbara Hepworth, Paintings by Ben Nicholson bei Arthur Tooth & Son’s Gallery.
Ohne Zweifel war insbesondere Ben Nicholson zu Beginn ihrer Karriere ein wichtiger Partner und Türöffner für Hepworth. Er führte sie in die entsprechenden Kreise ein und stellte sie wichtigen Akteuren der Kunstwelt vor. Regelmäßig reiste er nach Paris, besuchte die dort ansässigen Galerien und andere, modern arbeitende Künstlerinnen und Künstler. Falls Hepworth nicht persönlich dabei sein konnte, so erzählte er von ihr und zeigte ihre Skulpturen auf Fotografien. Die positiven Reaktionen von Künstlerinnen und Künstlern wie Georges Braque, Pablo Picasso, Jean Hélion, Piet Mondrian, Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp oder Ossip Zadkine waren für Hepworth Bestätigung und halfen dabei, ihre internationale Reputation zu festigen. Die Tatsache, dass sie sich damit zu Beginn ihrer Karriere stark auf ihre Ehemänner und ihre Kontakte verließ, mag aus heutiger Sicht wenig emanzipiert wirken. Doch es ist eine bewusste Entscheidung Hepworths – so urteilt auch ihre Biografin Eleanor Clayton –, die Realitäten ihrer Genderrolle und die damit verbundenen Erwartungen auszufüllen.
Künstlergruppen und Netzwerke
Neben der Teilnahme an Ausstellungen und Wettbewerben erwiesen sich die Verbindungen zu anderen Künstlerinnen und Künstlern und die Mitgliedschaft in verschiedenen Künstlervereinigungen als fundamental für Barbara Hepworths berufliches Vorankommen. 1930 trat sie der London Group bei, deren Ziel es war, das öffentliche Bewusstsein für zeitgenössische Kunst durch jährliche Ausstellungen zu fördern. Die Gruppe sah sich vor allem als fortschrittliche Alternative zur Royal Academy. 1931 wurde Hepworth Mitglied der 7&5 Society, zu der auch Ben Nicholson, Henry Moore und Frances Hodgkins gehörten. Die Vereinigung wandelte sich durch ihre neuen Mitglieder von einer eher reaktionär eingestellten Gruppe zu einer der führenden Vereinigungen abstrakter Kunst in Großbritannien. Hepworth war bestrebt, auch ihre internationale Anerkennung voranzutreiben und so richtete sie in den 1930er-Jahren ihren Fokus auf Paris, das sich in der Zwischenkriegszeit erneut zu einem der Zentren der modernen Kunst entwickelte. Als besonders effektiv erweist sich in diesem Zusammenhang die Mitgliedschaft bei Abstraction-Création, einer internationalen Vereinigung vorrangig nichtfigurativ arbeitender Künstlerinnen und Künstler, die auf Bestrebungen von Theo van Doesburg zurückging, abstrakt arbeitende Künstlerinnen und Künstler miteinander zu vernetzen.
Die Gruppe, die nach van Doesburgs Tod vom belgischen Künstler Georges Vantongerloo und dem französischen Maler Auguste Herbin in Paris gegründet wurde und in ihrer Hochzeit fast vierhundert Mitglieder umfasste, verfolgte dabei kein politisches Programm, sondern diente vor allem der gemeinsamen Ausstellungs- und Publikationstätigkeit. Im Vorwort der ersten gemeinsamen Ausgabe ihrer international vertriebenen Zeitschrift legten sie die unterschiedlichen Richtungen der Abstraktion dar: »Abstraktion, weil einige Künstler durch die allmähliche Abstraktion von den Formen der Natur zur Auffassung der Gegenstandslosigkeit gelangten. Kreation, weil andere Künstler durch eine rein geometrische Auffassung oder durch die ausschließliche Verwendung von Elementen, die gemeinhin als abstrakt bezeichnet werden, wie Kreise, Ebenen, Balken, Linien usw., direkt zur Gegenstandslosigkeit gelangten.«⁹ Neben Hepworth und Nicholson, die 1933 Mitglieder wurden, waren dort über die Jahre Künstlerinnen und Künstler wie Naum Gabo, Antoine Pevsner, Piet Mondrian, El Lissitzky, Wassily Kandinsky, Max Bill, Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp, Constantin Brâncuși, Alexander Calder und viele weitere aktiv. Im Jahr 1934 verlor die Gruppe jedoch an Bedeutung, als zahlreiche Künstlerinnen und Künstler wegen inhaltlicher Auseinandersetzungen ausschieden, unter ihnen auch Hepworth. Dennoch verhalf ihr die kurze Zeit ihrer Mitgliedschaft zu einem Bekanntheitsschub und zahlreichen Kontakten.
Im Jahr 1933 war Hepworth Gründungsmitglied der Vereinigung Unit 1, eines Zusammenschlusses von Künstlerinnen und Künstlern aus Architektur, Malerei und Skulptur. Insbesondere durch die gemeinsame Publikation Unit 1 sollte die englische Avantgardekunst bekannt gemacht werden. Das Anliegen der Vereinigung war, die beiden zu dieser Zeit vorherrschenden künstlerischen Hauptströmungen, die Abstraktion und den Surrealismus, miteinander zu verbinden. Die erste und einzige Ausstellung der Gruppe unter dem Titel Unit One fand 1934 statt und wurde von einem Buch begleitet, das den Untertitel The Modern Movement in English Architecture, Painting and Sculpture trug. Es enthielt Erläuterungen zu allen Künstlerinnen und Künstlern, Fotografien ihrer Werke und eine Einführung des Kritikers und Dichters Herbert Read, der zu einem der wichtigsten Promotoren der Moderne in Großbritannien gehört. Die Vereinigung hatte nicht lange Bestand und auch die Publikation ist aus heutiger Sicht zwar ein wertvolles Dokument, erzielte jedoch nicht den erwünschten Effekt, und so schrieb Nicholson Hepworth 1934 aus Paris, keiner hätte überhaupt Notiz von der Veröffentlichung genommen.¹⁰ 1935 löste sich die Gruppe bereits wieder auf, war jedoch, trotz ihrer kurzen Existenz, extrem wichtig für die Etablierung Londons als Zentrum der abstrakten Kunst und Architektur in den 1930er-Jahren.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland und die daraus resultierende Diffamierung und Diskriminierung der modernen Kunst führte spätestens mit dem Ausbruch des Krieges im September 1939, dem deutschen Einmarsch in Frankreich im Jahr 1940 und der Etablierung des Vichy-Regimes zu einem Exodus der künstlerischen und intellektuellen Avantgarde. Auch in Großbritannien beschlossen viele Künstlerinnen und Künstler, die Großstädte zu verlassen und aufs Land zu ziehen. Barbara Hepworth und ihren Ehemann Ben Nicholson zog es 1939 nach St Ives, damals ein kleines Fischerdorf an der Nordküste Cornwalls, das sich während der Kriegsjahre zu einem Rückzugsort für zahlreiche bildende Künstlerinnen und Künstler entwickelte. Hepworths starke Naturverbundenheit, die sie schon immer verspürt hatte, wurde durch den Umzug nach Cornwall intensiviert und zu einem bestimmenden Faktor in ihrem künstlerischen Werk. Das Haus von Hepworth und Nicholson entwickelte sich zu einem Treffpunkt von Kreativen aus Kunst, Literatur und Musik, die sich austauschten und gemeinsame Ideen sowie Konzepte für Ausstellungen und Veranstaltungen entwickelten.
Die Tatsache, dass Barbara Hepworth mit einer Vielzahl von Künstlerinnen und Künstlern der europäischen Avantgarde persönlich bekannt war und sich im Laufe ihrer Karriere in einem dynamischen Netzwerk von fortschrittlich denkenden Kunstschaffenden und Intellektuellen bewegte, trug entscheidend dazu bei, dass sie ihre Bekanntheit steigern und ihren Ruf als international anerkannte Künstlerin festigen konnte. Insbesondere die Kontakte und das Wohlwollen etablierter Künstler wie Constantin Brâncuși, Piet Mondrian oder Hans Arp erwiesen sich als hilfreich.
Ausstellungen, Monumente und museale Ankäufe
Neben der Mitgliedschaft in Künstlergruppen und -netzwerken arbeitete Hepworth intensiv daran, ihr Werk möglichst umfangreich und weltweit in Ausstellungen zu präsentieren. Nach den ersten Gemeinschaftspräsentationen mit Skeaping und Nicholson stellte ihre Beteiligung an Abstract and Concrete (1936), der ersten Überblicksausstellung abstrakter Kunst in England, einen frühen Höhepunkt dar. Die Schau brachte insgesamt sechzehn internationale Künstlerinnen und Künstler (darunter Arp, Calder, Gabo, Alberto Giacometti, Moore und Mondrian) zusammen und war nach Oxford auch in Liverpool, Newcastle upon Tyne, London und Cambridge zu sehen. Hepworth bot die Ausstellung eine großartige Möglichkeit, ihre Arbeiten zusammen mit Künstlerinnen und Künstlern zu zeigen, denen sie sich konzeptuell nahe fühlte. Im selben Jahr kaufte das Museum of Modern Art mit Discs in Echelon (1935) eine erste Arbeit von ihr an. 1937 folgte Hepworths erste Einzelausstellung bei Alex Reid & Lefèvre in London sowie ein Jahr später die Teilnahme an einer Ausstellung zur abstrakten Kunst im Stedelijk Museum in Amsterdam. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nahm auch die Ausstellungstätigkeit ab, doch bereits kurz nach Kriegsende konnte Hepworth an ihre vorangegangenen Erfolge anknüpfen: Schon 1946 wurde sie eingeladen, am Wettbewerb für die Waterloo Bridge teilzunehmen und im Jahr 1949 zeigte sie ihre Werke zum ersten Mal in den USA. Im Jahr 1950 erhielt sie dann auch die offizielle Anerkennung des britischen Staates, als sie aufgefordert wurde, den britischen Pavillon auf der XXV Biennale von Venedig zu bespielen. Im selben Jahr erwarb die Tate ihre erste Arbeit. 1951 realisierte sie mit Turning Forms und Contrapuntal Forms im Rahmen des Festivals of Britain ihre ersten Arbeiten im Außenraum. Im selben Jahr folgte die Arbeit Vertical Form (1951) für das Hatfield Technical College, im Jahr 1960 die Arbeit Meridian, die am State House in London zu sehen ist, und im Jahr 1963 Winged Figure an der prominenten Einkaufsmeile Oxford Street in London.
Die wohl bekannteste Arbeit im Außenraum ist aber die Skulptur Single Form vor dem Gebäude der Vereinten Nationen, die dem kurz zuvor unter dramatischen Umständen verstorbenen UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld gewidmet ist, mit dem Hepworth auch persönlich bekannt war. In seinem Entstehungsjahr 1964 stellte das Monument die erste abstrakte, großformatige, öffentliche Skulptur im New Yorker Stadtgebiet dar. Die große Anzahl an öffentlichen Aufträgen in den 1950er- und 1960er-Jahren zeugte nicht nur von Hepworths wachsendem Renommee, sondern brachte ihre Kunst auch in den öffentlichen Raum und damit in das Bewusstsein der Gesellschaft.
Zeitgleich mit dem Anstieg ihrer öffentlichen Aufträge wuchs auch die Anzahl ihrer Ausstellungsbeteiligungen: In den 1950er-Jahren zeigte sie ihre Arbeiten wiederholt in Nordamerika, unter anderem in New York, San Francisco, Washington D. C., Montreal und Toronto. Im Jahr 1959 nahm Hepworth neben dem Maler Francis Bacon und dem Grafiker Stanley Hayter als Repräsentantin Großbritanniens an der V. São Paulo Biennale (1959 bis 1960) teil und gewann den Großen Preis (Abb. 4). Im Anschluss wurden zahlreiche ihrer Arbeiten auf eine vom British Council organisierte Ausstellungstournee durch Südamerika geschickt.¹¹ Für Hepworth bedeuteten die São Paulo Biennale und die anschließende Ausstellungstournee die perfekte Gelegenheit, ihr Werk auch außerhalb Europas und den Vereinigten Staaten bekannt zu machen. Ebenfalls im Jahr 1959 war sie auf der zweiten documenta vertreten, die schon zum damaligen Zeitpunkt zu den weltweit wichtigsten Ausstellungen der Gegenwartskunst gehörte. Zwischen 1964 und 1965 zeigte sie ihre Werke unter anderem in Kopenhagen, Stockholm, Helsinki und Oslo, im Anschluss hatte sie eine große Retrospektive im Kröller-Müller Museum Otterlo, die anschließend noch in die Kunsthalle Basel, nach Turin, Karlsruhe und Essen reiste. Im Jahr 1968 erhielt sie zudem die Gelegenheit, ihre Werke im Rahmen einer großen Retrospektive in der Tate zu zeigen, was neben Hepworth nur vier weiteren Frauen zu ihren Lebzeiten gelang.¹²
Ohne alle Einzelheiten der Ausstellungsbeteiligungen Hepworths nachzuvollziehen, sollte diese Aufzählung doch verdeutlichen, dass die Künstlerin zeit ihres Lebens äußerst erfolgreich war und durch ihre Präsentationen weltweite Bekanntheit erlangte. Sie achtete genau darauf, wie ihre Werke gezeigt wurden und äußerte wiederholt ihren Missmut, wenn dies einmal nicht ihren Vorstellungen entsprach. Ihr war vor allem daran gelegen, die Vielfalt ihrer künstlerischen Materialien und Werke zu zeigen und sie bevorzugte dabei starke Gegenüberstellungen, die sich durch Dynamik auszeichnen und auf gar keinen Fall zu »diskret« oder gar »ladylike« wirken sollten.¹³ Penelope Curtis weist darauf hin, wie wichtig es für Hepworth war, die richtigen Sammler und Galeristen zu haben, in den wichtigsten Ausstellungen und Museen vertreten zu sein und in der Öffentlichkeit angemessen wahrgenommen zu werden. So war sie insbesondere mit der Auswahl und Präsentation ihrer Werke auf der Kasseler documenta unzufrieden. In diesem Kontext warf sie vor allem ihrer Galerie Gimpel Fils in London vor, sie habe sich nicht adäquat um ihre Belange gekümmert und insbesondere internationale Ausstellungen vernachlässigt.¹⁴
Die Rolle der Kritik
In seiner Einführung zu Unit 1 postuliert Herbert Read, dass sich echte Künstlerinnen und Künstler dadurch auszeichnen würden, dass sie sich weder an Regeln halten, noch vorbereiteten Wegen und Denkformen folgen würden. Da sie etwas komplett Neues kreierten, obläge es ihnen, für ihre Kunst ein Publikum zu schaffen, das ihre Arbeit zu schätzen wisse. Sie müssten zu »Propagandisten« ihrer Kunst werden.¹⁵ Barbara Hepworth schien diese Auffassung zu teilen, denn seit den frühen 1930er- Jahren nutzte sie bevorzugt international erscheinende Publikationen, um sich und ihre Kunst bekannt zu machen.¹⁶ Neben den begleitenden Publikationen zu Unit 1 und Abstraction-Création, die Hepworths Werk im Kontext der europäischen Kunst etablierten, verdankte sie ihre Bekanntschaft im US-amerikanischen Raum dem Magazin Axis, das zwischen 1935 und 1937 erschien und auf Initiative Jean Hélions von Myfanwy Evans und ihrem Ehemann John Piper herausgegeben wurde. Auch wenn die Zeitschrift kommerziell nicht erfolgreich war, so trug sie stark dazu bei, die dort beworbenen Künstlerinnen und Künstler in den USA bekannt zu machen: 1936 empfahl The Bulletin of the Museum of Modern Art in New York Axis und The Studio als einzige englische Publikationen zur Orientierung über aktuelle künstlerische Strömungen.¹⁷ Zeitgleich mit der Einstellung von Axis erschien 1937 die fast dreihundert Seiten umfassende Publikation Circle: International Survey of Constructive Art, herausgegeben von Nicholson, Gabo und dem Architekten Leslie Martin. Hepworth war eng in die Produktion eingebunden und kümmerte sich vor allem um Fragen des Layouts und der Herstellung.¹⁸ Das Buch wurde parallel zur Ausstellung Constructive Art in der London Gallery publiziert. Kommerziell war es wenig erfolgreich, jedoch wurden von den sechshundertfünfundsiebzig Exemplaren insgesamt zweihundertfünfzig in die USA verkauft. Wie die Kuratorin Valerie Holman einwendet, lässt sich der Erfolg solcher Publikationen nur schwer in den Verkaufszahlen messen, da sie ihre Wirkung auch dadurch entfalteten, dass sie in anderen Medien besprochen und die enthaltenen Ideen aufgegriffen und weiter verbreitet wurden.¹⁹
Fast genauso wichtig für Hepworths internationale Etablierung war die Bekanntschaft mit bekannten Kritikern wie dem eingangs zitierten Herbert Read. Aus heutiger Sicht erscheint diese Verbindung vermutlich noch bedeutsamer als aus damaliger Perspektive. Hat es sich doch retrospektiv betrachtet gezeigt, dass Künstlerinnen und Künstler in jener Zeit vor allem dadurch im Gedächtnis blieben, dass über sie berichtet wurde und sie in wichtigen Standardwerken erwähnt wurden. Durch die enge Freundschaft mit Read, dem wohl einflussreichsten Kunsthistoriker der britischen Nachkriegsmoderne, verfügte Hepworth über einen der profiliertesten Fürsprecher und Promotoren ihrer Kunst. Der ebenfalls aus Yorkshire stammende Read schrieb bereits 1932 einen Essay über Hepworth, wurde in der Folge ein Freund und Fürsprecher, später dann auch Nachbar von Hepworth, Nicholson und Moore, als er 1933 ebenfalls in The Mall Studios einzog²⁰ – eine Verbindung, von der alle danach gleichermaßen profitieren sollten. Als sich Read in der Nachkriegszeit zu einem der machtvollsten Protagonisten innerhalb der britischen Kunstkritik entwickelte, bestand zwischen ihm und Hepworth also bereits eine enge freundschaftliche Verbundenheit. Herauszustellen ist die Tatsache, dass Hepworth die einzige Künstlerin war, deren Werke Read wiederholt und ausführlich erwähnte. Doch auch die wiederholten Besprechungen seinerseits geschahen im Rahmen einer binären Geschlechterdifferenzierung, wie der Kurator und Autor Stephen Feeke feststellt. Er sieht insbesondere die Einleitung zur ersten Hepworth-Biografie (1952) in diesem Zusammenhang als kritisch an, da er ein geschlechtsspezifisches Paradigma ausmacht, mit welchem Read Hepworths künstlerische Leistungen zudem als zweitrangig hinter den Leistungen Moores einordnet.²¹ Tatsächlich scheint es fragwürdig, dass in Herbert Reads The Art of Sculpture Hepworth lediglich einmal Erwähnung findet, während Moores Kunst umfänglich besprochen wird.
Katy Deepwell nimmt an, dass die enge Anbindung an Herbert Read mit ursächlich dafür gewesen sein könnte, dass Hepworths Werk nach ihrem Tod in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung verlor, was unter Umständen hätte verhindert werden können, wenn Hepworth bereits zu Lebzeiten den Kreis ihrer Kritiker geöffnet hätte.²² Es ist zu vermuten, dass andere Kritiker vielleicht ein anderes Narrativ gewählt hätten, eines, das Hepworths künstlerische Genese nicht im Vergleich mit respektive in Abgrenzung zu Henry Moore entwickelte. Denn wie stark diese künstlerische Konkurrenz im Fokus insbesondere männlicher Kritiker stand, zeigte sich immer wieder in ihren Äußerungen über Hepworth. In Texten von Herbert Read, Adrian Strokes, Lawrence Alloway oder David Lewis war es immer Moore, der als Referenz für Hepworth gewählt wurde. So unterscheidet Lewis beispielsweise die Arbeiten der beiden dahingehend, dass er Hepworths Skulpturen die Eigenschaft zuweist, in harmonischem Einklang mit ihrer Umgebung zu sein, Moores Werke hingegen würden durch ihren visuellen Kontrast eine besondere Signifikanz und gewaltige Kraft ausstrahlen.²³ Alloway schrieb anlässlich Hepworths Ausstellung in der Whitechapel Art Gallery 1954: »Ihr Gespür für Stein und Holz ist ausgeprägt, weniger stark als das von Moore, aber subtiler: es ist ihre Strategie, eher zu überzeugen als ihr Material zu beherrschen.«²⁴
Aus heutiger Sicht erscheinen viele der Texte über Hepworth sehr stark auf geschlechtsspezifische Unterschiede ausgerichtet zu sein und dabei Moore als Mann die größere Bedeutung zuzusprechen. Read zog ebenfalls geschlechtsspezifische Faktoren heran, um Moore und Hepworth zu vergleichen, betonte aber ebenfalls (und dies sollte sich als besonders nachteilig für Hepworth erweisen) vor allem die Seniorität Moores und rückte ihn damit in eine Art Lehrerposition.²⁵ So hielt sich in vielen Publikationen hartnäckig die Annahme, es sei Moore gewesen, der als erster auf die Idee gekommen sei, eine Skulptur zu durchbohren. Dabei ist mittlerweile belegt, dass Hepworth diese Technik zum ersten Mal bereits im Jahr 1931 in ihrer heute verschollenen Arbeit Pierced Form verwendete, Henry Moore jedoch erst das Jahr 1932 zum »Year of the Hole« ausrief.
Zwar ist nicht abzustreiten, dass gerade zu Beginn ihrer künstlerischen Laufbahnen beider Skulpturen über viele Gemeinsamkeiten verfügen. Die daraus unter anderem von Herbert Read gezogene Schlussfolgerung, dass Moore der fünf Jahre jüngeren Hepworth als Vorbild gedient habe, erscheint vor diesem Hintergrund aber fragwürdig. Katy Deepwell weist darüber hinaus darauf hin, dass Reads zahlreiche Verweise auf den Einfluss anderer Künstlerpersönlichkeiten wie Constantin Brâncuşi, Nicholson, Gabo und eben Moore den Eindruck erwecken, Hepworth habe diese nachgeahmt, so als habe es ihr an eigener, genuin künstlerischer Originalität gefehlt.²⁶ Angesichts dieser hier nur skizzenhaft geschilderten Situation verwundert es nicht, dass Hepworth ein starkes Augenmerk auf die Rezeption ihrer Werke legte und dass sie mitunter versuchte, sie zu beeinflussen oder gar vorzugeben.
Hepworth als Kritikerin und Fürsprecherin in eigener Sache
»Es ist sehr schwierig für mich zu sprechen, denn ich kann nur durch meine Skulptur kommunizieren«.²⁷ – Mit diesen Satz begann Barbara Hepworth die Rede anlässlich der Enthüllung ihrer Skulptur Single Form vor dem Hauptgebäude der United Nations in New York. Wie wenig diese Selbsteinschätzung zutraf, zeigte sich bei einer genaueren Betrachtung ihrer schriftlichen und mündlichen Zeugnisse, in denen Hepworth äußerst selbstbewusst und präzise ihre Kunst reflektierte, analysierte und einordnete.²⁸ Aus heutiger Sicht würde man eher urteilen, dass es gerade ihre Kommunikationsstärke war, die zu einem elementaren Baustein ihrer internationalen Etablierung wurde und zur Formung ihres öffentlichen Bildes beitrug. Katy Deepwell wies in ihrem Text »Hepworth and her critics« darauf hin, dass sich die überwiegende Mehrheit der Kritiker immer wieder auf Hepworths eigene Aussagen und Erklärungen bezogen. Die Künstlerin gab insgesamt zwei Autobiografien heraus, deren erste, Barbara Hepworth: Carvings and Drawings, bereits 1952 zusammen mit einer Einführung von Herbert Read erschien. In der zweiten, A Pictorial Autobiography (1970), unterteilte sie ihr Leben in vier chronologische Abschnitte, in Kindheit und Jugend, die Jahre mit Ben Nicholson, die Zeit im südenglischen St Ives und die 1960er-Jahre, die Hepworth als »New Decade« bezeichnete. Der Fokus lag dabei auf der Darstellung einer ständigen Weiterentwicklung und dem Narrativ einer äußerst produktiven und erfolgreichen Künstlerin, der es gelang, Familie und Karriere zu vereinen.²⁹ Es war ihr darüber hinaus auch ein Anliegen, mit ihrer Biografie einige Daten zu korrigieren, die etwa Hepworths künstlerische Innovation des Piercings irrtümlich zeitlich hinter Moore einordnen: »Der Hauptzweck war es, bestimmte Daten unanfechtbar zu machen. Meine Datierungen sind von den Autoren Henry Moores stark verändert worden.«³⁰ Durch die Veröffentlichung dieser Biografien bestimmte Hepworth selbst ganz entscheidend das Bild mit, das von ihr in der Öffentlichkeit entstand.³¹ Ohne daran übermäßige Kritik zu üben, war es dennoch ein Fakt, den es zu beachten galt und der besonders in Bezug auf die sorgsame Konstruktion ihres öffentlichen Bildes von großer Relevanz war. Nachdem sie gerade zu Beginn ihrer Karriere immer wieder unzufrieden mit der fotografischen Präsentation ihrer Werke war, nahm sie diese zeitweise selbst in die Hand. Sie verwendete die Fotografien auch für die weltweite Vermarktung, indem sie sie an potenzielle Käufer:innen und Fürsprecher:innen schickte. Es existieren zahlreiche Aufnahmen, die Hepworth bei der Arbeit in ihrem Atelier zeigen und dabei den Fokus vor allem auf die gekonnte Inszenierung der Künstlerin bei der eigenhändigen Arbeit an ihren Werken legen. Auguste Rodin war einer der ersten Künstler gewesen, der die Bedeutung der Fotografie für die Vermarktung seiner Skulpturen erkannt und sie dazu verwendet hatte, sich und sein Werk bekannt zu machen. Ähnlich ging auch Hepworth vor, und achtete, so urteilt die Kuratorin bewusst darauf, welche Geschichte sie medial erzählte und wie sie ihre Kunst in die öffentliche Wahrnehmung brachte. Valerie Holman weist darauf hin, dass es vor allem Hepworths schriftliche Äußerungen, aber auch die Reproduktionen ihrer Arbeiten waren, die sie international bekannt machten.³²
Das Problem der Fotografien ist allerdings, dass sie keine Verbildlichung der Räumlichkeit ermöglichten und ein auf Allansichtigkeit angelegtes Werk zweidimensional reduzierten. So ist es nicht verwunderlich, dass Hepworth auch dem Medium des Films sehr aufgeschlossen gegenüberstand. Penelope Curtis weist darauf hin, dass der Film wegen der Möglichkeit, verschiedene Ansichten zu zeigen, ein besonders geeignetes Medium gewesen sei, um Hepworths Skulpturen einzufangen.³³ Wie stark die Inszenierung dabei zuweilen war, belegt der 1952 von Dudley Shaw Ash produzierte Film Figures in a Landscape. Neben Aufnahmen im Studiogarten zeigen zahlreiche Szenen die Figuren in der kornischen Landschaft, etwa am Strand, aber auch an außergewöhnlichen Orten, wie beispielsweise an der Mên-an-Tol, einer Megalithformation aus der Bronzezeit. Hepworth selbst war mit dem finalen Ergebnis sehr unzufrieden und versuchte daher, in der Folgezeit stärker in die Produktion einzugreifen. Fraser zeigt auf, dass Hepworth nicht nur die Zeit für Filmaufnahmen vorschlug, sondern mitunter ganze Skripts verfasste und bewusst Einfluss auf die Inhalte zu nehmen versuchte.³⁴ Auch in anderen Bereichen finden sich zahlreiche Beispiele dafür, wie sorgsam Hepworth in Bezug auf ihre öffentliche Repräsentation war. So schrieb sie beispielsweise an den Kunsthistoriker Reginald Howard Wilenski, von dem 1932 das Buch The Meaning of Modern Sculpture erschien, dass ihr die Abbildung ihres Werkes als nicht repräsentativ genug erscheine.³⁵ Selbst gegenüber ihren bevorzugten Kritikern Herbert Read, Adrian Stokes und deren Texten äußerte sie immer wieder Kritik.³⁶ Hepworth war also nicht nur eine erfolgreiche Künstlerin und Geschäftsfrau, sondern auch Schriftstellerin und Selbstdarstellerin, die es persönlich in die Hand nahm, ihr öffentliches Bild und ihre Reputation zu formen.³⁷
Ein weiblicher Sonderweg?
Nach Hepworths großen Erfolgen zu Lebzeiten wurde es nach ihrem Tod zunächst still um sie. Erstaunlicherweise fand sie auch im Rahmen der feministischen Kunstgeschichte kaum Beachtung. Sherry Buckberrough vermutet, dass dies der Tatsache geschuldet ist, dass Hepworth sich nicht explizit als feministische Künstlerin verstand, sondern lediglich ihren rechtmäßigen Platz innerhalb der Kunstgeschichte beanspruchte: »Ich habe nie verstanden, warum das Wort ›weiblich‹ als Kompliment für das eigene Geschlecht angesehen wird, wenn man eine Frau ist, aber eine abwertende Bedeutung hat, wenn es auf etwas anderes angewendet wird. Die weibliche Sichtweise ist eine Ergänzung zur männlichen«.³⁸ An anderer Stelle führte sie aus, dass es ihrer Meinung nach zwar geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf Sensibilität und Wahrnehmung gab, diese aber nicht zu einer grundlegenden Konkurrenz zwischen den Geschlechtern führten, sondern vielmehr als Bereicherung zu sehen wären.³⁹ Hepworth war der Meinung, dass Kunst geschlechtsneutral und allein der Qualität nach zu beurteilen war: Entweder war sie gut oder sie war es nicht.⁴⁰ Vielleicht ist es diese Neutralität in Bezug auf Genderfragen, die dazu geführt hat, dass Hepworth von der feministischen Kunstgeschichte weitestgehend ignoriert wurde. Eine derartige Haltung, so Buckberrough, erregte im kritischen Umfeld der 1980er-Jahre, in denen die Fragen nach ethnischer oder geschlechtlicher Identität eine übergeordnete Rolle spielten, keine Aufmerksamkeit mehr.⁴¹ Eine merkwürdige Dichotomie, hätten doch sowohl Barbara Hepworths künstlerisches Werk als auch ihre Persönlichkeit durchaus das Potenzial gehabt, auf ähnliche Weise wie Rodin nachfolgenden Generationen abstrakt arbeitender Bildhauerinnen als Wegbereiterin zu dienen. Aber sie bleibt, so urteilt etwa Claire Doherty, ein Phänomen – eine Künstlerin, deren Renommee trotz ihrer herausragenden Erfolge zu Lebzeiten und ihrer wichtigen Position innerhalb der Bewegung der Avantgarde, nach ihrem Tod lange zwischen Berühmtheit und Unbekanntheit schwankte.⁴²
Eine Neubewertung erfuhr ihr Werk erst fast zwanzig Jahre nach ihrem Tod dank einer großen Retrospektive an der Tate Liverpool im Jahr 1994/95. Seitdem wuchs die Zahl von Ausstellungen und Publikationen zu ihr und ihrem Werk. In der Folge erfuhr auch ihre Kunst seitens der jüngeren Generationen wieder mehr Beachtung, wie es die in dieser Ausstellung gezeigten Positionen von Künstlerinnen und Künstlern wie Claudia Comte, Tacita Dean oder Julian Charrière unter Beweis stellen. Es bleibt festzuhalten, dass Barbara Hepworth gleichwohl eine treibende Kraft und Pionierin innerhalb der Kunst der Moderne war und ihre Arbeiten entscheidend dazu beigetragen haben, der Abstraktion neue Impulse zu verleihen, ohne dabei eine feministische Position ins Feld zu führen. Sie war in der internationalen Kunstszene hervorragend vernetzt und wusste sich geschickt selbst zu vermarkten sowie ihre Kontakte zu bedeutenden Protagonistinnen und Protagonisten der Kulturwelt zu nutzen.
¹ Eine ausführliche Darstellung dieser Thematik wurde beispielsweise 2012 in der Ausstellung Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen vorgenommen.
² Vgl. Wilkinson 2002, S. 47.
³ Vgl. Wickham 2018, o. S.
⁴ Vgl. Curtis 1999, S. 90.
⁵ Vgl. Curtis 1994, S. 13.
⁶ Vgl. Curtis 1994, S. 13.
⁷ Vgl. Holman 2015, S. 29.
⁸ Vgl. Clayton 2021, S. 108.
⁹ Hélion 1932, S. 1: »abstraction, parce que certains artistes sont arrivés à la conception de la non-figuration par l’abstraction progressive des formes de la nature. creation [sic!], parce que d’autres artistes ont atteint directement la non-figuration par une conception d’ordre purement géométrique ou par l’emploi exclusif d’éléments communément appelés abstraits, tels que cercles, plans, barres, lignes, etc.«
¹⁰ Vgl. Holman 2015, S. 31.
¹¹ Stationen waren Montevideo in Uruguay, Buenos Aires in Argentinien, Santiago und Valparaíso in Chile und Caracas in Venezuela.
¹² Vgl. Deepwell 1998, S. 78.
¹³ Hepworth 1950, zit. nach Curtis 1998, S. 132.
¹⁴ Vgl. Smith 2015, S. 93.
¹⁵ Vgl. Read 1934, S. 11–12.
¹⁶ Vgl. Holman 2015, S. 27.
¹⁷ Vgl. ebd., S. 33.
¹⁸ Vgl. ebd., S. 32. Abb. 4 Ausstellungsansicht mit Werken von Barbara Hepworth, V. Biennale von São Paulo, 1959.
¹⁹ Vgl. ebd., S. 35.
²⁰ Vgl. Clayton 2021, S. 55.
²¹ Vgl. Feeke 2022, S. 2.
²² Vgl. Deepwell 1998.
²³ Vgl. Lewis 1955, S. 319.
²⁴ Alloway 1954, S. 45: »Her feeling for stone and wood is distinguished, less powerful than Moore’s, but more subtle: it is her strategy to appear to persuade rather than dominate her material«.
²⁵ Vgl. Read 1952, S. IX.
²⁶ Vgl. Deepwell 1998, S. 105.
²⁷ Hepworth 1964, wiederabgedr. in Bowness 2015, S. 181: »It is very difficult for me to speak, because I can only communicate through my sculpture«.
²⁸ Das 2015 veröffentlichte Sammelwerk Barbara Hepworth: Writings and Conversations macht zahlreiche vergriffene und unzugängliche Schriften von Hepworth zugänglich und belegt ihre große sprachliche Begabung wie auch ihr Sendungsbewusstsein.
²⁹ Vgl. Deepwell 1998, S. 99. Brief von Barbara Hepworth an Ben Nicholson, 31. Mai 1970: »Its main use was to put beyond dispute certain dates. My dates have been much altered by writers
on Henry Moore«, zit. nach Curtis 1994, S. 146.
³⁰ Brief von Barbara Hepworth an Ben Nicholson, 31. Mai 1970: »Its main use was to put beyond dispute certain dates. My dates have been much altered by writers on Henry Moore«, zit. nach Curtis 1994, S. 146.
³¹ Vgl. Deepwell 1998, S. 97.
³² Vgl. Holman 2015, S. 27.
³³ Vgl. Curtis 1998, S. 108.
³⁴ Vgl. Fraser 2015, S. 81.
³⁵ Vgl. Holman 2015, S. 28.
³⁶ Vgl. Curtis 1994, S. 27.
³⁷ Ausst.-Kat. Liverpool / New Haven / Toronto 1994, S. 147.
³⁸ Hepworth 1952, wiederabgedr. in Bowness 2015, S. 72: »I have never understood why the word feminine is considered to be a compliment to one’s sex if one is a woman but has a derogatory meaning when applied to anything else. The feminine point of view is a complementary one to the masculine«.
³⁹ Vgl. Hepworth, unveröffentlichtes Manuskript der späten 1950er-Jahre, wiederabgedr. in Bowness 2015, S. 131.
⁴⁰ Vgl. Winterson 2003, o. S.
⁴¹ Vgl. Buckberrough 1998, S. 47.
⁴² Vgl. Doherty 1996, S. 163.